Was das Urteil 23 U 74/24 für Anleger & Emittenten bedeutet
1. Warum dieses Urteil wichtig ist
Viele Genussrechts- und Beteiligungsbedingungen enthalten Klauseln, mit denen sich die Emittentin im Ernstfall aus der sofortigen Rückzahlung zieht: ein Liquiditätsvorbehalt („Zahlung nur, wenn kein Insolvenzeröffnungsgrund entsteht“) oder ein Rückzahlungsvorbehalt („Auszahlung erst, wenn kein Bilanzverlust vorliegt“). Das OLG Frankfurt a. M. hat beide Klauseltypen nun kassiert – mit deutlichen Worten zur AGB-Kontrolle.
2. Die Klauseln im Überblick
Klausel | Zweck | Problem laut OLG |
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Liquiditätsvorbehalt / „Durchsetzungssperre“ | Auszahlung darf Fälligkeit „verschieben“, solange eine Zahlung die Insolvenz auslösen könnte | Der Begriff verharmlost eine echte vorinsolvenzliche Zahlungssperre; Dauer, Voraussetzungen, Rangtiefe und Zinsfolgen bleiben völlig offen. |
Rückzahlungsvorbehalt bei Bilanzverlust | Zahlung nur, wenn Rückzahlung keinen Bilanzverlust erzeugt oder erhöht | Für den Anleger nicht durchschaubar, weil Bilanzverluste auch bei wirtschaftlich guter Lage möglich sind; Klausel eröffnet ein potentiell ewiges Leistungsverweigerungsrecht. |
3. AGB-Kontrolle: Die drei zentralen Prüfschritte des Senats
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AGB-Charakter
Genussrechts- und Genussscheinbedingungen sind massenhaft vorformuliert und keine gesellschaftsrechtlichen Mitgliedschaftsrechte – die Bereichsausnahme des § 310 IV BGB greift daher nicht. -
Verstoß gegen das Transparenzgebot (§ 307 I S. 2 BGB)
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Die Liquiditätsklausel suggeriert nur einen vorübergehenden Aufschub, ohne Klarheit über Dauer oder Kriterien.
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Die Bilanzverlustklausel lässt offen, wann und wie das Fällig-keitshindernis wieder entfällt.
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3.Unangemessene Benachteiligung (§ 307 II Nr. 2 BGB)
Beide Vorbehalte stellen das Kapitalrückzahlungs-Versprechen auf unbestimmte Zeit in Frage und geben der Emittentin einen einseitigen Handlungsspielraum.
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Folge: Die Klauseln sind ersatzlos nichtig (§ 306 BGB); die Rückzahlungs-forderung bleibt spätestens zum vertraglich vereinbarten Termin fällig.
4. Was heißt das für Anleger?
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Anspruch durchsetzbar: Selbst wenn die Vertragsbedingungen solche Vorbehalte enthalten, können Sie die Auszahlung sofort verlangen.
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Beweislast umgedreht: Beruft sich die Emittentin weiterhin auf Liquiditätsengpässe, muss sie diese konkret belegen – pauschale Hinweise reichen nicht.
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Verzinsung & Verzugsschaden: Sobald die vertragliche Fälligkeit erreicht ist, laufen Verzugszinsen.
5. Was heißt das für Emittenten?
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Klausel-Check: Standardbedingungen mit pauschalen Liquiditäts- oder Bilanzverlustvorbehalten sind rechtliches Pulverfass.
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Transparenz nachrüsten: Zulässig ist nur ein klar definierter, zeitlich begrenzter Aufschub mit objektiven Prüfkriterien.
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Dokumentationspflicht: Wer sich auf Liquidität beruft, braucht belastbare Zahlen, testierte Bilanzen und fortlaufende Liquiditätsplanung.
6. Praxistipps
Für Anleger | Für Emittenten |
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Vertragsunterlagen prüfen: Enthält Ihr Vertrag undurchsichtige Vorbehalte, lohnt sich die sofortige Geltendmachung. | Musterverträge anpassen: Ersetzen Sie Pauschal-Vorbehalte durch differenzierte Staffeln (z. B. Cash-Quota, EBIT-Trigger) und klare Enddaten. |
Zahlungsaufforderung mit Frist setzen, Verzugszinsen fordern. | Frühzeitiger Dialog mit Anlegern: Offenlegung der Liquiditätslage reduziert Prozessrisiken. |
Bei Ablehnung Klage erwägen – OLG-Urteil ist starke Argumentationshilfe. | Compliance-Schulungen: Finanz- & Rechtsabteilung auf die neuen Anforderungen sensibilisieren. |
7. Fazit
Das OLG Frankfurt sendet ein deutliches Signal: Unbestimmte Liquiditäts- und Bilanzverlustklauseln halten der AGB-Kontrolle nicht stand. Anleger bekommen damit ein scharfes Schwert an die Hand, um eingefrorene Rückzahlungsansprüche durchzusetzen. Emittenten sollten ihre Vertragsmuster dringend überprüfen, um teure Prozesse und Imageschäden zu vermeiden.
Sie haben Fragen zu Rückzahlungsansprüchen oder möchten Ihre Beteiligungsbedingungen rechtssicher gestalten? Sprechen Sie uns an – wir beraten Sie gern.